Vordere Kreuzbandverletzungen bei Frauen

 

Frauen haben im Vergleich zu Männern ein deutlich höheres, sogar bis zu 9-faches, Risiko für eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes. Grund dafür sind unter anderem geschlechtsspezifisch anatomische, hormonelle und neuromuskuläre Unterschiede sowie unterschiedliche Bewegungsmuster in Risikosituationen.

 

Zu nennen sind Faktoren wie zum Beispiel die bei Frauen häufiger vorkommende anatomische X-Beinstellung, die sich dann bei der Landung nach einem Sprung dynamisch auch noch weiter verstärkt, die Körperhaltung bei der Landung, die bei Frauen aufrechter ist, was wiederum zu Folge hat, dass der Schutz des Kniegelenkes durch die hintere Oberschenkelmuskulatur, die sogenannte ischiocrurale Muskulatur, vermindert ist, in diesem Sinne generell die nicht nur an den Beinen, sondern auch am Rumpf und Becken im Verhältnis zu den Männern verminderte Muskelmasse bei Frauen und auch die Quadricepsdominanz, das bedeutet, dass vor allem Hochleistungssportlerinnen bei einem Verletzungsreiz durch Vorschub des Unterschenkels gegen den Oberschenkel statt der das vordere Kreuzband schützenden ischiocruralen Muskulatur mehr mit einer Aktivierung des bei dessen Anspannung das vordere Kreuzband stressenden Quadricepsmuskels antworten.

Darüber hinaus werden weitere geschlechtsspezifisch anatomische Unterschiede diskutiert, wie zum Beispiel engere Verhältnisse an der Ursprungsstelle der Kreuzbänder, eine vermehrte Neigung des Schienbeinkopfes, des sogenannten Slopes, die zu einer größeren Last auf das vordere Kreuzband führt und das bei Frauen breitere Becken.

 

Man hat auch die hormonellen Unterschiede untersucht und mögliche Zusammenhänge der Elastizität und einer verminderten Reißfestigkeit der Bänder zum Menstruationszyklus und der Einnahme von Kontrazeptiva festgestellt, wobei es hier teilweise Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen gibt.

 

Nicht zu vernachlässigen ist ansonsten auch die Tatsache, dass im Frauenfußball die Professionalisierung hinterherhinkt und oft schlechtere Trainingsbedingungen vorzufinden sind als auf dem gleichen Leistungsniveau bei Männern. So müssen beispielweise viele Bundesligaspielerinnen neben dem Fußball auch einen normalen, manchmal nicht nur mental, sondern sogar auch körperlich belastenden, Beruf ausüben, wodurch weniger Zeit für Prävention und Regeneration bleibt. Zudem stehen oft weniger Mittel für eine enge und umfassende sportmedizinische und sportphysiotherapeutische Betreuung zur Verfügung. 

 

Aus medizinischer Sicht sind die wichtigsten Faktoren die, die am besten beeinflusst werden können, woraus sich auch die Empfehlungen in der Prävention leiten. Es sind in der Verletzungsprophylaxe, sowohl bei gesunden Sportlern als auch, zur Vermeidung einer Rezidivverletzung, bei bereits erlittener Verletzung, entsprechende Aufwärm- und Trainingsprogramme notwendig zur Verbesserung der Propriozeption, der Koordination von Bewegungen und der neuromuskulären Kontrolle, vor allem bei der Landung nach einem Sprung und während schneller Richtungswechsel, sowie zur Verbesserung der muskulären Situation durch Kräftigung der Bein-, Rumpf-, Gesäß- und hüftumgreifenden Muskulatur. Selbstverständlich bedarf es neben der sportmedizinischen und sportphysiotherapeutischen Betreuung auch eine hohe Compliance und große Disziplin des Sportlers.

 

Es muss jede Verletzung individuell betrachtet und Faktoren wie Vorgeschichte, Begleitverletzungen und sportliche sowie berufliche Ansprüche berücksichtigt werden, bei einer Profifußballerin mit einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes geht die Empfehlung aber meistens zur operativen Versorgung. Hierbei wird aus einer körpereigenen Sehne, die bei einer Erstverletzung aus dem gleichen Knie entnommen wird, das neue vordere Kreuzband rekonstruiert und an der Stelle des alten vorderen Kreuzbandes eingesetzt und fixiert. 

 

Dr. med. Simeon Geronikolakis