Der Fußball nach dem Lockdown

 

Wie sehen die aktuellen Belastungen im Spitzen-Fußball aus?

Dr. Geronikolakis: Aufgrund des sehr engen Terminplanes mit, vor allem für die Top-Clubs und die Nationalspieler, vielen Spielen in sehr kurzen Abständen, sowie dem auf diesem Niveau bekannt hohen Leistungsdruck, sind die aktuellen sowohl physischen als auch psychischen Belastungen im Spitzenfußball extrem hoch. Im Vordergrund stehen dabei sicherlich die zahlreichen Spiele und die hohen sportlichen Anforderungen, aber man darf auch die teilweise sehr langen und anstrengenden Reisen nicht vergessen, die zur Gesamtbelastung der Spieler ebenfalls beitragen.

 

Keine richtige Sommerpause und eine sehr kurze Saisonvorbereitung. Was genau fehlt den Spielern seit Saisonbeginn am meisten?

Dr. Geronikolakis: Nicht allen, aber vielen Spielern fehlen aufgrund des sehr dichten Match-Kalenders auf jeden Fall angemessene körperliche und mentale Erholungsphasen. Zudem ist der gewohnte Rhythmus gestört und es bedarf unbedingt eine umfassende und sehr gute Betreuung sowie eine optimale Belastungssteuerung.

 

Welche Auswirkungen oder Verletzungen gibt es nachweislich schon mehr als üblich und wird es in den kommenden Monaten zwangsweise geben?

Dr. Geronikolakis: Erfahrungsgemäß kann man sagen, dass die Überlastungsprobleme und die Muskelverletzungen zuletzt sehr stark zugenommen haben. Die Tendenz wird auch in den nächsten Monaten vermutlich weiter steigend sein, zumal, aufgrund der besonderen Corona bedingten Situation, mit der Europa- und Weltmeisterschaft zwei Großereignisse sehr kurz aufeinander folgen.

Neben der zunehmenden Verletzungsanfälligkeit ist eine weitere Auswirkung auch die abnehmende Leistungsfähigkeit der Spieler.

 

Wie gefährlich können diese Belastungen für die Körper der Spieler noch werden?

Dr. Geronikolakis: Die Gefahr besteht darin, dass sich Verletzungen und Überlastungsbeschwerden häufen und auch das jeweilige Ausmaß zunimmt, was zu immer längeren Ausfallzeiten führt. Wann ein Spieler an seine Belastungsgrenze kommt und somit auch seine Verletzungsanfälligkeit steigt, ist unterschiedlich, da dies von sehr vielen weiteren Faktoren, wie zum Beispiel seinem Trainingszustand oder seiner individuellen Regenerationsfähigkeit, abhängig ist.

 

Was bedeutet die Mehrbelastung für den Körper?

Dr. Geronikolakis: Die hohe Belastung und die nicht ausreichende Regeneration führen zu einem erhöhten Verletzungsrisiko und einer verminderten Leistungsfähigkeit. Der Körper bekommt nicht die Zeit sich von einer hohen Belastung zu erholen, ermüdet schneller, kann folglich weniger leisten und ist auch geistig weniger aufnahmefähig, was den Trainingserfolg mindert.

 

Ist die Belastung der Top-Vereine und ihrer Spieler aktuell aus medizinischer Sicht schon „Wettbewerbsverzerrung“?

Dr. Geronikolakis: Da es individuelle Unterschiede zwischen den einzelnen Spielern, den Strukturen der Vereine, die ein Champions League Team meistens aufgrund der besseren finanziellen Möglichkeiten entsprechend auch optimieren kann, und den Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ligen gibt (in England zum Beispiel 20 Teams in der Liga, mehr Mannschaften international und zwei nationale Pokalwettbewerbe), kann man aus rein medizinischer Sicht nicht von Wettbewerbsverzerrung nur aufgrund der unterschiedlichen Anzahl der Spiele sprechen.

 

Was ist der große Unterschied zu früher, zum Beispiel zu den 80er und 90er Jahren?

Dr. Geronikolakis: Das Spiel ist immer schneller und immer dynamischer geworden, der Erfolgsdruck immer höher. Eine positive Entwicklung ist jedoch, dass sich gleichzeitig die sportmedizinische Betreuung der Spieler und die Regenerationsmöglichkeiten sowie die Trainingsbedingungen gebessert haben.

 

Brauchen die Top-Teams künftig einen Kader von mindestens 30 Spieler, um über die Runden zu kommen?

Dr. Geronikolakis: Nein, wichtiger und vermutlich auch günstiger ist es aus meiner Sicht langfristig im gesamten Verein die entsprechenden Strukturen für eine optimale Verletzungsprophylaxe und gute sportmedizinische Betreuung zu schaffen.

 

Wie ist die Situation im Amateurfußball, wo bekanntlich der Restart ja noch auf sich warten lässt?

Dr. Geronikolakis: Im Amateurfußball ist die Situation unterschiedlich, da jede Mannschaft mit der Corona-Pause unterschiedlich umgegangen ist. Dies hat zu Folge, dass das Fitness-Level der Spieler nicht nur von Liga zu Liga, sondern auch von Team zu Team und teilweise innerhalb einer Mannschaft auch von Spieler zu Spieler unterschiedlich ist.

 

Sind im Amateurfußball somit mehr Verletzungen zu erwarten?

Dr. Geronikolakis: Die lange Pause mit dem daraus resultierenden unterschiedlichen, oft leider nicht optimalen, Trainingszustand der Spieler, dem gestörten Rhythmus und dem evtl. nach dem Restart engen Terminkalender, wird mit Sicherheit dazu führen, dass sich Verletzungen häufen werden.

Zusätzlich zur körperlichen kommt auch hier noch eine sich auf das Verletzungsrisiko ungünstig auswirkende mentale Überlastung hinzu, da es bei vielen Spielern in der Endphase der Saison, neben beruflichem und privatem Stress, auch sportlich um viel geht.